Heinz und Annerose Krüger - Sterngucker in Tolkewitz

 

Seit jeher fasziniert der Anblick des nächtlichen Himmels die Menschen. Hin und wieder will es aber jemand genauer wissen. Nicht nur „Fachleute“ – studierte Experten – sondern gerade auch engagierte Laien, Enthusiasten haben in der Geschichte der Astronomie (und natürlich auch anderer Wissensgebiete) manche Entdeckung auf ihrem Konto. Über den Prohliser Astronomen Palitzsch ist viel geschrieben worden. Quasi im Nachbardorf hatte er aber einen Kollegen, der weniger bekannt ist. Der knapp 20 Jahre ältere Christian Gärtner in Tolkewitz war es, der dem jungen Palitzsch den ersten Blick durch ein Fernrohr ermöglichte.

Christian Gärtner

Christian Gärtner - Pastell von Ursula Seliger

„Dieser Mann war in seiner Gegend, und fast in seinem ganzen Vaterlande, vor wenig Jahren noch, gar sehr bekannt, weil er durch eigene innere Kraft die Fesseln zerbrochen, die Geburt und Lebensart seinem größern Geiste angelegt hatten, und durch unermüdeten Fleiß und Nachdenken sich aufklärte – sich in der Optik, Mechanik und Astronomie solche Kenntnisse verschafte, welche seine Zeitgenossen bewunderten, und welche ihm die Liebe und Achtung nicht nur seiner Fürsten, sondern auch vieler fremder hoher Herrschaften und unparteyischer Gelehrten gewonnen haben. Das Schicksal hielt ihn aber sehr kurz und ließ den edlen Mann auf seiner Bahn mit ewigen Hindernissen kämpfen.“ 1)


Christian Gärtner wurde am 6. Mai 1705 als drittes Kind eines Zwirnhändlers und Garnbleichers in Tolkewitz geboren. Lesen und Schreiben lernte er beim Leubener Dorfschulmeister. Bereits als Kind beobachtete er mit großem Interesse die Sterne, während er mit seinem älteren Bruder die Zwirnbleiche bewachte. Der Leubener Lehrer hatte an der Dresdner Kreuzschule einiges über Astronomie erfahren und vermittelte dem Knaben erste Kenntnisse. Der nutzte sein karges Taschengeld, um sich in der Stadt mit Büchern und später mit einer Sternenkarte zu versorgen. Nicht selten erhielt er vom Vater für seine „abartigen“ Beschäftigungen Prügel und Strafen. 
Älter geworden, musste er mit seinem Bruder zur Leipziger Messe ziehen, um die Garne zu vertreiben. Dabei lernte er Mechaniker, Glasschleifer, Studenten und später auch Gelehrte kennen, bei denen er neue Kenntnisse gewinnen konnte. Hier hatte er auch erstmals Gelegenheit, selbst durch ein Fernrohr den Saturn zu beobachten, was ihn tief beeindruckte. Als er etwa 32 Jahre alt war, heiratete er und gründete seinen eigenen Hausstand. Das verschaffte ihm einige Freiheit. Etwa in dieser Zeit erwarb er sein erstes Fernrohr und baute sich ein hölzernes Türmchen, um nachts besser beobachten zu können. Bei den Leipziger Mechanikern Rosen und Baumann „stahl“ er sich manchen Trick und bei Hofrat Kästner wohnte er astronomischen Beobachtungen bei und lernte manch gelehrte Köpfe kennen. 
In Dresden wurde der Inspektor des mathematischen Salons, Rudolph, sein enger Freund. Nun erregte er allmählich die Aufmerksamkeit seines Fürsten, des sächsischen Königs August des Zweiten. Auf dessen Befehl musste Gärtner sein Beobachtungstürmchen abreißen, um ein weit größeres und bequemeres zu bauen. Der König wies zwar Holzlieferungen an und stellte eine erhebliche Summe in Aussicht. Die inzwischen angefallenen 300 Thaler jedoch erhielt Gärtner bis an sein Lebensende nicht zurück. Immer wieder wurde er vertröstet. Bald brach auch noch der „Siebenjährige Krieg“ aus und der komfortable Bau zog ihm zahlreiche Einquartierungen ins Haus. Trotz seiner Gelehrsamkeit und seiner guten Kontakte galt er eben als Bauer und die Chancen, seine Rechte einzufordern standen schlecht. Obwohl Gärtner dem König regelmäßig wissenschaftliche Berichte sandte und dauernd hohe Gäste in seinem Hause bewirtete, geriet er immer mehr in Armut. So sollen beim Venusdurchgang 1769 fünf Gesandte samt Damen und Bediensteten bei Gärtner logiert haben – wie immer, ohne ihm auch nur einen Taler der Entschädigung zu hinterlassen. 
Inzwischen hatte Gärtner das Glasschleifen zu einer zweiten Einnahmequelle gemacht. Mit einer selbst konstruierten Schleifmaschine produzierte er – später auch sein Sohn – optische Gläser aller Art. Österreichische und Preußische Offiziere verbreiteten seine Produkte weit über Sachsen hinaus. Aber auch das rettete seine finanzielle Situation nicht. Alt und schwach geworden – sein einziger Sohn war bereits gestorben – lebte er kümmerlich von der kargen Unterstützung durch seine Tochter. 
Am 31 Dezember 1782 verstarb Christian Gärtner. Seine Beerdigung musste durch den verkauf seiner Möbel finanziert werden. Seine teils recht kostbaren Instrumente und Bücher wurden von den Gläubigern für ein Butterbrot eingezogen. 


Tolkewitz wurde 1350 erstmals als Tolkenwicz urkundlich erwähnt. Das frühere Gassendorf östlich des Niedersedlitzer Landgrabens ist slawischen Ursprungs und verdankt seinen Namen wohl dem Ortsgründer (“Leute des Tolkan”). 1396 kam der Ort an das Kloster Altzella. Die Zinsen des Vorwerkes Dürrhof wurden 1398 von dessen Besitzer, dem Dresdner Bürgermeister Lorenz Busmann, der Kreuzkapelle übereignet. Durch diese Entwicklung kam Tolkewitz in enge Bindung zu Dresden und gehörte nach der Reformation zu den Dresdner Ratsdörfern.

Da die sandigen Böden und die häufigen Überschwemmungen der Elbe nur eingeschränkte Landwirtschaft ermöglichten, betrieben die Bewohner neben der Elbfischerei seit dem 16. Jh. die Zwirn- und Garnherstellung im Heimgewerbe. Tolkewitz und das benachbarte Laubegast blieben bis ins 19. Jh. Hochburgen der Garnherstellung im sächsischen Raum. Im heute nicht mehr vorhandenen Gehöft Tolkewitz Nr. 19 hatte Gärtner (1705-1782) sein Observatorium.

Redaktionelle Bearbeitung: Reinhard Seurig

Literatur

1)

Aus „Schattenrisse edler Teutscher – aus dem Tagebuche eines physiognomisch Reisenden“ Friedrich Theile, 3. Band, Halle 1784

 

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