< zurück zur
Übersicht
Infoheft 2008.3 |
Die „größte Eselei“ Albert
Einsteins
Im Palitzsch-Astroklub diskutieren wir zur Zeit die
verschiedenen Aspekte der Frage, was die Welt im Innersten
zusammenhält. Warum fällt ein Apfel, der sich vom Baum gelöst
hat, nach unten? Das Phänomen der Gravitation beschäftigt die
Menschheit seit den frühesten Zeiten, als man begann, sich
über die Welt Gedanken zu machen. Erst die Wissenschaftler der
beginnenden Neuzeit, wie Galileo Galilei, Johannes Kepler und
Isaak Newton fanden Gesetzmäßigkeiten, mit denen man die
gegenseitige Anziehung von Massekörpern berechnen kann.
Berechnen ja – aber auch verstehen? Die ersten konkreten
Vorstellungen über das Wesen der Gravitation sind untrennbar
mit dem Namen Albert Einsteins verbunden.
So kam uns eine Einladung der Sternwarte Radebeul zu einem
Vortrag von Prof. Gernot Münster (Universität Münster) über
Einsteins Kosmologische Konstante sehr gelegen und wir
beschlossen, unseren Klubtreff einmal nach Radebeul zu
verlegen.
Die Gravitation ist das zentrale Thema in Einsteins
Allgemeiner Relativitätstheorie von 1915. Er hatte
mathematische Gleichungen aufgestellt, die das Verhalten aller
im Weltall vorhandenen Massekörper beschreiben. Dabei geht es
also um die gegenseitigen Anziehungskräfte zwischen den
Sternen, den eingelagerten Gas- und Staubwolken und großräumig
zwischen den Galaxien. Einstein überlegte, dass ein solches
Weltall in sich zusammenfallen müsste, wenn der Gravitation
nicht eine Gegenkraft die Waage hält. Eine solche noch
unbekannte, aber abstoßend wirkende Kraft fügte er daher im
Jahre 1917 als Kosmologische Konstante Lambda in seine
Feldgleichungen ein. Differentialgleichungen dieser Art sind
die allgemeinste Zusammenfassung einer Theorie. Ein konkretes
„Weltmodell“ kann man dann aus den Lösungen dieser Gleichungen
errechnen. Es muss anschließend am Himmel überprüft werden, ob
die beobachteten Massen und ihre Verteilung dem berechneten
Modell entsprechen oder nicht. Das reale Weltall sah jedoch
recht bewegt aus. Der Astronom Vesto Slipher fand als erster,
dass die Spektrallinien vieler ferner Sternsysteme zum roten
Ende des Spektrums hin verschoben sind. Das ließ sich am
einfachsten als eine Fluchtbewegung von uns weg deuten. Leider
waren damals die wahren Entfernungen zu den Spiralnebeln noch
völlig unbekannt. Im Jahre 1922 veröffentlichte der bis dahin
völlig unbekannte Russe Alexander Friedmann seine Lösungen der
Einsteinschen Feldgleichungen in der Zeitschrift für Physik.
Demnach könne das Universum sowohl expandieren, als auch
kontrahieren. Albert Einstein lehnte dieses Ergebnis in einer
Stellungnahme zunächst als Rechenfehler ab, musste aber ein
Jahr später die Friedmannsche Lösung als mathematisch korrekt
akzeptieren. So ist auch seine etwas sarkastisch klingende
Bemerkung von 1923 an den befreundeten Mathematiker Hermann
Weyl zu verstehen: „Wenn keine quasi-statische Welt, dann fort
mit dem kosmologischen Glied“. Gemeint war seine vorsorglich
in die Gleichungen eingefügte Konstante Lambda. Für Einstein
muss damals die Vorstellung eines dynamisch bewegten Weltalls
noch als unerträglich erschienen sein.
Im Juni 1927 veröffentlichte der junge belgische Priester und
Astrophysiker Georges Lemaitre seine Lösungen der
Einsteinschen Gleichungen. Er ging da bei, ebenso wie
Einstein, von einem homogenen räumlich gekrümmten Universum
aus, aber mit dem Unterschied, dass sich der Krümmungsradius
mit der Zeit vergrößert. In diesem expandierenden Universum
vergrößern sich die Wege der Lichtquanten während der Zeit
zwischen Aussendung in der einen und Empfang in einer anderen
Galaxis. Somit müsse die Rotverschiebung der Spektrallinien
sich proportional zur Entfernung vergrößern. Diese Vorhersage
begründete er aus der Relativitätstheorie. Als Beleg hatte er
aber nur wenige und relativ ungenaue Messwerte von
Rotverschiebungen und zugehörigen Entfernungen zur Verfügung.
Die Ergebnisse Lemaitres wurden in Fachkreisen zwar
diskutiert, aber (wahrscheinlich wegen des bescheidenen
Auftretens ihres Verfassers) nicht sonderlich beachtet.
In den Folgejahren hatten die beobachtenden Astronomen große
Fortschritte erzielt. Ab 1925 untersuchte Edwin Hubble
Einzelsterne in Spiralnebeln, die sich durch ihren
Helligkeitswechsel als Veränderliche vom Typ der Cepheiden zu
erkennen gaben. Von denen ließ sich aus der Periode die
absolute Helligkeit berechnen. Dadurch wurde es möglich, die
wahre Entfernung von Spiralnebeln zu bestimmen und mit der aus
der Rotverschiebung der Spektrallinien erschlossenen
Fluchtbewegung in Zusammenhang zu bringen. Erst im Jahre 1929,
als Hubble sein umfangreiches Beobachtungsmaterial
veröffentlichte, wurde die lineare Abhängigkeit zwischen der
Entfernung von Galaxien und ihrer Fluchtgeschwindigkeit
allgemein anerkannt und als Hubble-Gesetz bezeichnet. Nun war
auch für Albert Einstein klar, dass er sich von seinem
statischen Universum endgültig verabschieden musste. Er soll
gegenüber Freunden geäußert haben, die Einführung der
Kosmologischen Konstanten sei seine größte Eselei gewesen. Aus
rein mathematischen Gründen war die Einfügung einer
Integrationskonstanten durchaus richtig gewesen, aber sie
hatte, wie nun angenommen werden konnte, den Wert null. Die
Ausdehnungsgeschwindigkeit des Weltalls – ausgedrückt durch
die Hubble-Konstante – konnte in den folgenden Jahrzehnten
immer genauer bestimmt werden. Man musste jedoch annehmen,
dass sie durch die Anziehungskraft der insgesamt im Weltall
vorhandenen Materie allmählich abgebremst wird, allerdings
nicht bis zur Geschwindigkeit null, da auch die Gravitation
durch die Materieverdünnung infolge der Expansion stetig
abnimmt. Die Rückverfolgung der Ausdehnungstheorie führte zu
der Vorstellung, dass die Existenz des Weltalls einmal in
einem Punkt begonnen haben muss. Seit den dreißiger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts bemühen sich Kosmologen und
Atomphysiker gemeinsam um eine einheitliche Theorie dieses als
Urknall bezeichneten Anfangszustandes.
Aus der jetzigen relativ homogenen Verteilung der Materie im
Universum müsste geschlossen werden, dass sich in den ersten
Sekundenbruchteilen nach dem Urknall das Universum um einen
riesigen Faktor ausgedehnt hat, bevor die „normale“ Expansion
einsetzte. Als Ursache für diese Inflationsphase wird die
kurzzeitige Wirkung einer Vakuumenergie verantwortlich
gemacht. Ein weiteres Indiz für diese der Gravitation
entgegenwirkende Energie (auch Dunkle Energie genannt) ergibt
sich aus der vor wenigen Jahren festgestellten Diskrepanz bei
der Beobachtung von relativ nahe und sehr fern gelegenen
Supernovaausbrüchen des Typs Ia. Die Entfernungen können
einmal aus der scheinbaren Helligkeit berechnet werden, denn
die absolute Helligkeit ist bekannt. Zum anderen lässt sich
die Entfernung auch aus der spektralen Rotverschiebung
bestimmen und die so gefundenen Entfernungen stimmen leider
nicht überein. Die Schlussfolgerung daraus ist, dass in der
späteren Zeit, als die näher gelegene Supernova ausbrach, die
Ausdehnungsgeschwindigkeit der Welt größer als zu der zur
ferneren Supernova gehörenden früheren Zeit gewesen sein muss.
Damit hat die jetzt noch hypothetische Dunkle Energie die
gleiche Aufgabe, wie seinerzeit die Kosmologische Konstante,
nämlich die Dynamik unseres Weltalls zu erklären. Vielleicht
war Einsteins ursprüngliche Überlegung doch keine Eselei
gewesen.
Udo Mutze
Literatur:
H. Nussbaumer: Achtzig Jahre expandierendes Universum, in:
Sterne und Weltraum, Heft 6 / 2007
|