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Infoheft 2009.2 |
Ein Besuch im Haus "Sonne
Mit diesem Beitrag soll der Freundschaft zwischen einem
Dresdner Gelehrten und dem Prohliser Bauern Johann Georg
Palitzsch (1723 -1788) gedacht werden, die von tiefer Achtung
und herzlicher Zuneigung geprägt war.
Um die Welt, in der beide lebten, besser nachempfinden zu
können, wollen wir das vom Architekten Jadogar Asisi
geschaffene Panometer im alten Gaswerk besuchen. Imponierend
ist nicht nur das überdimensionale Panoramabild der Stadt
Dresden von 1756, sondern auch die sehenswerte Sammlung
musealer Gegenstände aus jener Zeit.
Gleich zu Beginn des Rundgangs leuchtet uns eine aus Sandstein
gehauene, vergoldete Sonne entgegen, die über der Eingangstür
des Hauses "Sonne" auf der Rähnitzgasse, Ecke Neustädter
Markt, als Schlußstein diente. Wer ein Fern-glas dabei hat,
kann vom Turm des Panometers, jenseits der Elbe, Haus und
Schlußstein ausfindig machen.
Der Besucher wird nun, auf dem "Hofkirchturm" stehend, von
einer phantastischen, virtuellen Welt eingefangen, in der wir
unserer Fantasie ein wenig Raum geben und uns aber dennoch an
den folgenden realen Dokumenten erfreuen wollen.
Gerade verlassen zwei Männer den Zwinger, queren die Elbe auf
der Augustusbrücke und treten in das Haus „Sonne“ ein. Der
eine, Karl Wilhelm Daßdorf (1750-1812), Bibliothekar an der
Kurfürstlichen Bibliothek im Zwinger, der andere unser
Palitzsch. An Gesprächsstoff wird es beiden im gemütlichen
Heim bei Daßdorf nicht gemangelt haben. 1)
Tags darauf schrieb Daßdorf: "An meinen Freund Palitzsch in
Prohlis.
Mein theurer redlicher Freund!
Tausend Dank für die heitere fröhliche Stunde, die Sie mir
gestern machten, als Sie mich von meiner Bibliothek nach Hause
begleiteten!…Sie wissen es, mein lieber Freund, wie aufrichtig
ich gegen Sie bin, wie so ganz ohne alle Zurückhal-tung ich
Ihnen meine geheimsten Bemerkungen über Menschen,
Begebenheiten und Charaktere mittheile....lassen Sie uns so
viel Gutes thun und wirken als wir können und lassen Sie uns
den stillen Beyfall unseres Gewissens höher schät-zen als den
Beyfall einer ganzen Welt... Der Himmel erhalte Ihnen Ihre
Gesund-heit und mir Ihre Liebe! Ich bin mit herzlicher
Zuneigung und Achtung Ihr aufrich-tiger redlicher Freund Karl
Wilhelm Daßdorf." 2)
Die Verehrung des 29jährigen für den 56jährigen Palitzsch wird
hier schon spürbar. War doch der "Bauerngelehrte" unter den
Wissenschaftlern kein Unbekannter mehr. Europäische Akademien
hatten ihre Bewunderung anläßlich seiner Entdeckung des
Halleyschen Kometen 1758 zum Ausdruck gebracht, verbunden mit
der Bitte um weitere astronomische Beobachtungsergebnisse.
Auch ragte bereits der vergoldete Blitzableiter auf dem
Schloßturm in den Himmel, den anzubringen er 1775 dem
Kurfürsten Friedrich August III. (1750 - 1827) empfahl. 3)
Interessant ist auch das N. S. im obigen Brief:
"Unser würdiger Freund ... läßt Sie durch mich tausendmal
grüßen ... , desglei-chen auch der vortreffliche Mendelsohn
(Moses Mendelsohn, 1729-1786, jüdi-
scher Gelehrter und Philosoph in Berlin, der Verf.). Sein Buch
werden Sie nächstens erhalten … hierbey folgt, mein theuerster
Freund, die Unterschrift unter Ihr Bild, wie sie Freundschaft,
noch mehr aber Wahrheit aufgesetzt hat.
Johannes Georgius Palitzsch – Landmann zu Prohlis bey Dresden.
Seines vä-terlichen Erbgutes unermüdeter Anbauer und
Verbesserer. Ein vortrefflicher Stern-, Natur- und
Kräuterkundiger. In keiner anderen Wissenschaft unerfahren.
Sein eigener Lehrer und Zögling. Ein vortrefflicher redlicher
Mann. In seinem ganzen Leben ein praktischer Weltweiser."
4)
Im gleichen Jahr berichtet der zeitgenössische
Palitzsch-Biograph Lose vom Besuch des Prinzen Leopold von
Braunschweig (1752 -1785) in Dresden. Mit großer
Wahrscheinlichkeit stellte ihm Daßdorf seinen Freund in
Prohlis vor. Überliefert sind wahrhaft fürstliche Geschenke
des Prinzen an Palitzsch: Die gesamte Naturgeschichte von
Buffon und ein englisches Fernrohr von Dollond. 5) Umgekehrt
war gewiß Daßdorf dabei, wenn Palitzsch an des Prinzen Tafel
geladen, sich die Gäste aussuchen durfte. Beim Abschied
Leopolds aus Dresden verfaßten beide Freunde ein Gedicht, was
auszugsweise hier wiedergegeben werden soll:
"Der (Leopold, d. Verf.)... in einer niedern Hütte
Brüderlich die Hand des Landmanns drückt,
Wo der Unschuld unverdorbne Sitte
Ihn mehr als der Höfe Glanz entzückt. --
O, wie heiter war nicht seine Seele,
Wenn er jede reine Freude in Sich sog,
Bald mit Seelenvollen Auge
Zum gestirnten Himmel flog,
Da mit seinem niedern Freunde
In Bewundrung jener stiller Pracht
Einer hellen sternenvollen Nacht
Seinen Blick und Seinen Dank vereinte". 6)
Noch einmal stehen wir auf dem Turm des Panometers und
bewundern die herrliche Residenz in den lichtdurchfluteten
Elbauen. Diesmal verfolgen wir drei Herren beim städtischen
Rundgang. Daßdorf führt den aus Italien zurückgekehrten
Dichter Gottfried Ephraim Lessing (1729-1781), begleitet vom
Direktor der Kunstsammlungen Christian Ludwig Hagedorn
(1712-1781), einen sehr einflußreichen Kunstkenner und
Schriftsteller. Tief beeindruckt von der Schönheit der Stadt,
ihren Bauwerken, Gärten und Kunstsammlungen, regt Lessing
seinen Stadtführer Daßdorf an, doch ein Buch über Dresden zu
schreiben. 7)
Auch wir verlassen tief beeindruckt den "Hofkirchenturm",
treten noch einmal in die pantheonähnliche große Rundhalle am
Fuße des Panoramas und betrachten die im Kreis angeordneten
vielen Stelen mit Porträts der "Großen" des 18. Jahrhunderts
-Baumeister, Bildhauer, Maler, Wissenschaftler u.a.
Persönlichkeiten-,
die das Aussehen und damit das Leben der Stadt bestimmten.
Unter ihnen finden wir auch auf einer Stele den
Palitzsch-Kupferstich von Schulze mit dem Text "wie sie
Freundschaft, noch mehr aber Wahrheit aufgesetzt hat". (Daßdorf)
Sechs Jahre nach Lessings Besuch in Dresden (Lessing wäre gern
Hagedorns Nachfolger geworden), hatte es Daßdorf wahrgemacht
und gab nach vielen Recherchen seine Beschreibung Dresdens
und einiger Sehenswürdigkeiten heraus. Dem Freund zuliebe
machte er nur eine einzige Ausnahme in seinem umfangreichen
Werk und führt einen kleinen Weiler auf:
"Nicht weit von diesem Rittersitz (Lockwitz), etwas mehr nach
Dresden, liegt ein kleines Dorf Prohlis, das wegen des
berühmten Landmanns Palitzsch, der darin ein Bauerngut hat,
eine Erwähnung verdient. Dieser würdige Landmann verbindet
mit der edlen Simplicität seiner Sitten und der natürlichen
Anmut seines Umgangs viele nützliche astronomische und
physikalische Kenntnisse, die er sich durch vieljährige
Beobachtungen, durch Lektüre und Umgang (Studien, der Verf.)
erworben hat.
… er hat einen botanischen Garten voll ausländischer Gewächse,
deren Namen er nach dem Linnäischen System sehr gut innehat.
Auch besitzt er viele mathematische Instrumente, eine hübsche
Bibliothek (3.500 Bände, der Verf.), und eine artige
Naturaliensammlung.
Se. Königl. Hoheit, Prinz Heinrich von Preußen, beschenkte ihn
im letzten Kriege (7jähriger Krieg 1756-1763, der Verf.) mit
einem schönen 8-füßigen Tubus und dem großen Linnäischen Werk
und Se. Durchl. Prinz Leopold von Braunschweig mit einem
vortrefflichen Dollond und der großen Buffonschen
Naturgeschichte.
… einer der größten Vorzüge diese Mannes aber ist ohnstreitig
dieser, daß er bei seinen mannigfaltigen Kenntnissen, die er
noch täglich zu vermehren sucht, die Pflichten … nie vergißt,
daß er vielmehr einer der arbeitsamsten und tätigsten
Landleute ist, der durch seinen ökonomischen Eifer alle seine
Nachbarn … und Söhne aufmuntert. Dabei hat er ein redliches,
allen Eindrücken der Religion, der Freundschaft und
Menschenliebe offenes und mitteilendes Herz. Er ist einer
meiner wertesten und vertrautesten Freunde, den ich wegen der
Unverdorbenheit seines Charakters und wegen seiner edlen
Wissbegierde aufrichtig liebe und schätze; und nur dieses
verhindert mich, mehr zum Lobe eines Mannes zu sagen, der
immer verdient von denjenigen beobachtenden Reisenden gekannt
zu werden, die nicht bloß schöne Gemälde und reizende
Gegenden, sondern auch gute und schätzbare Menschen
aufsuchen". 8)
Es ist sehr bedauerlich, daß sich Daßdorf "verhindert fühlte,
mehr zum Lobe" dieses Mannes zu sagen. Wie oft sich die
Freunde trafen und einander durch Briefe erfreuten, ist nicht
überliefert bzw. noch nicht erforscht. Den letzten
Freundesdienst erwies Daßdorf im Nachruf zum Tode Palitzschs
am 21. Februar 1788.
"Vor einigen Tagen starb in Prohlis, einem Dorf bei Dresden,
der durch seine physikalischen und astronomischen Kenntnisse
bekannte Landmann Palitzsch an einem Schlagfluß, als er sich
eben in seinem Lehnstuhl der stillen Betrachtung überließ. Er
war ein Mann im alten römischen Geiste, der mit eigenen
Händen den väterlichen Acker bebaute, als ein Weiser lebte
und mit vielen Talenten
und Kenntnissen auch Menschenfreundlichkeit und edle Sitten
verband. Er war einer der fleißigsten astronomischen
Beobachter. Im Jahr 1758 entdeckte er zuerst den von allen
Astronomen erwarteten Kometen und wurde deswegen von der
Societät der Wissenschaften in London mit vielem Lob beehrt;
so wie er denn auch ihr ständiger Korrespondent war. Viele
große Gelehrte, ja viele Fürsten besuchten ihn in seinem
ländlichen Museum und gaben ihm Merkmale ihrer Bewunderung und
Wertschätzung". 9)
Daßdorf war nach dem Besuch der Fürstenschule in Meißen und
dem Studium der Philologie/Theologie 1772 nach Dresden
gekommen, wurde 1775 erster Bibliothekar an der
Kurfürstlichen Bibliothek, die seit 1728 im Zwinger drei Säle
füllte bzw. durch ständigen Buchankauf überfüllte. Der
notwendig gewordene Umzug erfolgte 1788 in das Japanische
Palais. Noch während des Umzugs verstarb Oberbibliothekar
Canzler, dessen Stelle Daßdorf zuerkannt wurde. Zum Leiter der
Bibliothek ernannte man den seit 1787 in Dresden lebenden
Sprach-forscher Johann Christoph Adelung (1732-1806). Obwohl
er ein in sich gekehrter, verschlossener Gelehrter war - auch
"Syntax- und Sprachwurzelgräber" genannt - gestaltete er
die Bibliothek zu einer öffentlichen Einrichtung um. Empfänge,
Führungen und Außendienste übernahm mit besten Umgangsformen
und vielen Sprachkenntnissen (neben Altsprachen Französisch
und Englisch, die Adelung nicht beherrschte) der liebenswerte,
immer fröhliche Daßdorf. Nicht nur als Sächsisch-Königlicher
Hofrat und Freund der schönen Literatur und Künste machte er
sich einen Namen, sondern auch als bewährter Dichter und Übersetzer. 10)
Siegfried Koge
Quellenverzeichnis und Anmerkungen
1) Stadtlexikon Dresden, 1998
2) Brief vom 05. Sept. 1779. Daßdorf an Palitzsch. Original
1945/46 aus Schloß Prohlis verschollen. Abdruck in:
Bergblumen, Dresden 1890, S. 78/79
3) Siehe Theile, Friedrich: Georg Palitzsch, Ein Lebensbild,
Leipzig 1878.
4) Palitzsch-Kupferstich von C. G. Schulze, Paris 1782
5) Dollond, John (1706-1761) London: Erbauer der ersten
achromatischen Fernrohre (Refraktoren).
6) Dreßdnische Gelehrte Anzeigen auf das Jahr 1779, XXII.
Stück, S. 291/292
7) Lessing, G. E.: Aufenthalt in Dresden 1776, Stadtlexikon
Dresden
8) Daßdorf, K. W.: Beschreibung der vorzüglichsten
Merkwürdigkeiten der Kurfürstlichen Residenzstadt Dresden,
Dresden 1782, S. 779-781.
9) Daßdorf, K. W., Handschriftliche Eintragung im Sächs.
Staatskalender 1788, Privatbesitz. Kopie im Heimat- und
Palitzsch-Museum Prohlis. Gleicher Text von Daßdorf
veröffentlicht: Leipziger Zeitung, 3. März 1788
10) Günther Jäckel, Dresden zur Goethezeit, Die Elbestadt von
1760-1815, Berlin
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